Manchmal frage ich mich wirklich, was es genau ist, was mich an der heutigen Zeit so deprimiert. Irgendetwas Grundlegendes deprimiert mich nämlich. Vorweg genommen: Nein, ich kann keine Kommentare à la “Gewöhn dich dran” oder “Das Leben ist kein Ponyhof” (ein sehr verletzender Spruch für Pferdeverrückte ;)) gebrauchen, weil mich das nicht weiterbringt, sondern nur für einen Moment wegwischt, was tief drinnen da ist. Wo ich erstmal rausfinden muss, *was* es ist, bevor ich entscheiden kann, wieviel ich allgemein und im speziellen in meinem Leben ändern kann.
Ein Teil meiner Unzufriedenheit hatte sicher mit meiner Situation zu tun (kein Job, Studium fertig, orientierungslos etc.) aber das ist es nicht nur, denn als ich noch in Marburg gewohnt, im Kino gearbeit und eigentlich zufrieden mit den Grundkoordinaten meines Lebens war, ging es mir – in dieser speziellen Hinsicht – nicht groß anders.
Was ich meine: Ich hasse die Schnellebigkeit des Internets, speziell die Art, wie ich mich davon anstecken lasse. Wenn ich Freizeit habe, hocke ich bei Facebook oder checke meine Mails oder vieles andere (und nein, ich sage nicht: oh, das böse Internet, ich beschreibe hier nur seine Wirkung auf mich persönlich) und nein, ich werde davon nicht glücklicher, nicht einmal groß zufriedener. Ich lese nebenbei noch viel, aber ich finde es wirklich gleichermassen interessant und erschreckend wie bunt und gleichzeitig hohl diese Beschäftigungen sind. Sie vertreiben die Zeit in einem annehmbaren Maße, ok, aber erfüllend ist was anderes… deswegen habe ich auch eine besondere Hass-Liebe zu medialer Bestrahlung.
Aber ich will die modernen Medien und ihre Wirkung auf mich nicht als alleinige Ursache sehen. Diese ganzen Gedanken sind bei mir auch durch ein kleines, sehr feines Buch wieder aufwühlt und vielleicht ein ganz kleines bisschen erklärt worden.
Diese Buch trägt den simplen Namen “Glück” von Wilhelm Schmid, einem Philosoph. Anders als viele moderne Lebensratgeber, mit denen ich wenig anfangen kann, schildert Schmid auf knapp 80 Seiten einfach nur die verschiedenen Facetten von “Glücl”, ihrem Stellenwert in früheren und der aktuellen Gesellschaft und gibt auch den Versuch eines Zukunftsblicks. Dabei sagt er aber deutlich, dass dieses Buch “einen Moment des Nachdenkens” und “sonst nichts” zu erreichen versucht – und das hat es bei mir definitiv erreicht.
Er nennt das populäre Glück “Wohlfühlglück”, ein Glück, dass sich meistens durch kurzweilige, oft sinnliche Beschäftigungen auslösen lässt (Essen, Filme, Sexualität etc.), aber leider nicht lang anhält. Er räumt ihm durchaus seine Berechtigung ein: “Ohne Zweifel hat dieses Glück seine Bedeutung, und es ist sinnvoll, es zu nutzen, und auch nicht zu knapp”, warnt aber davor “das gesamte Glück mit einem einzigen Wohlfühlglück zu verwechseln”, da das Leben ja auch normale, “graue” Alltagssituationen bereithält.Er schließt:
“Der moderne Begriff von Glück ist ein solcher Maßstab, der Menschen systematisch ins Unglück treibt.”
(In das “Wohlfühlglück” schließ Schmid übrigens auch das amerikanische “Streben nach Glück” ein, das wirtschaftlich geprägte “Tellerwäscher-Millionärs”-Glück. Interessant.)
Ich glaube auch, dass es diese Art von Wohlfühlglück ist, mit dem die Wirtschaft die Menschen versucht, um den Finger zu wickeln. Beispiel: Wenn man in eine Bank geht, sieht man überall Bilder von lächelnden, glücklichen Menschen. Wenn man ihre Hotline anruft, bekommt man glückliche Melodien vorgesäuselt – und nein, zur Bank gehen ist für die meisten Menschen nicht lustig, im besten Fall neutral, aber nicht lustig. Hier wird ein sinnliches Momentglück vorgegaukelt, wo es nicht um einen schönen Moment, sondern um die materielle Grundlage von Menschen geht – da verbinden ja die wenigsten einen Genuss mit.
Aber Schmid belässt es nicht bei diesem eher deprimierenden Gedanken, denn:
“Was für ein Glück, dass es noch andere Auffassungen von Glück gibt!”
Und mit dem darauffolgenden Kapitel bestätigt er vieles, was ich auch als wahres Glück empfinde, als eine Ausformulierung von vielen Gedanken, die ich schon hatte und neuen Anregungen, denn in diesem Kapitel geht es um “Das Glück der Fülle”.
Was ist das?
“Glück, so ist damit gemeint, geht nicht darin auf, nur eine Seite des Lebens, nämlich die Angenehmen, Lustvollen und ‘Positiven’, anzuerkennen und allein zu betonen. Das größere Glück, das Glück der Fülle, umfasst immer auch die andere Seite, das Unangenehme, Schmerzliche und ‘Negative’, mit dem zurechtzukommen ist. Niemand sucht dieses Andere, aber auszuschließen ist es nicht. Im besten Fall ist es zu mäßigen, und die beste Vorraussetzung dafür ist, das Andere des Lebens in seinem Recht auf Existenz grundsätzlich anzuerkennen.”
Zu deutsch: Kein Glück ohne Kontraste. Kein Yin oder Yang. Kein Schwarz ohne Weiß. Klar, offensichtlich, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass man es vergisst, gerade weil man heutzutage einfach so viele Möglichkeiten hat, sich einfach nur zu betäuben und es sich “gut gehen zu lassen”. Für einen Abend, einen Nachmittag, immer wieder. Allein deswegen bin ich saufroh, wieder arbeiten gehen zu können ab nächste Woche.
Schön, es mal geschrieben zu lesen: “Keine der genannten ‘Glücke’ (Anm.: Wohlfühlglück, Zufallsglück) ist verzichtbar, das dritte Glück (Anm.: Glück der Fülle) aber, das einzige, das dauerhaft sein kann, gilt in modernen, vom Angenehmen verwöhnten Zeiten erst wieder zu entdecken.”
Schmid schneidet in seinem Buch noch viele andere Themen an (z.B. das Aufbrechen von Strukturen im späten 20. Jahrhundert als Grund für das Gefühl der Sinnlosigkeit in modernen Menschen), die den Post noch länger machen würde, als er eh schon ist, aber wichtig für mich ist dieses obengenannte Zitat, das ein Wiederentdecken dieses ganzheitlichen Glücks eine Aufgabe sein könnte – das Akzeptieren negativer Umstände, die halt kommen, auch wenn man bemüht ist, das Positive zu halten. Und dass dies nicht zur “Passivität” führen, sondern zum “Mitschwimmen” animieren soll – Schmid nennt die Grundlage des Glücks eine “heitere Gelassenheit”.
Und genau mit dieser heitere Gelassenheit will ich mir gönnen, Bankbesuche unangenehm bis neutral zu finden, egal was die grinsenden Gesichter auf den Werbeplakaten sagen.